Debatte um bessere Arbeitsbedingungen in der Schlacht- und Zerlegebranche
2. Runder Tisch Fleischwirtschaft: Niedersächsische Ministerien beraten mit Branchenvertretern über notwendige Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Schlacht- und Zerlegeindustrie
In der Debatte um bessere Arbeitsbedingungen in der Schlacht- und Zerlegebranche hat auf Initiative von Niedersachsens Wirtschaftsminister Dr. Bernd Althusmann heute gemeinsam mit Niedersachsens Sozialministerin Dr. Carola Reimann, Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast, Bauminister Olaf Lies sowie Vertretern der Kommunen, der Fleischwirtschaft und der Berufsgenossenschaft der 2. Runde Tisch Fleischwirtschaft stattgefunden.
Dabei haben die Ministerinnen und Minister einhellig die Ankündigung der Bundesregierung begrüßt, im Rahmen eines Arbeitsschutzprogramms das Schlachten und die Fleischverarbeitung ab 2021 grundsätzlich nur noch durch Beschäftigte des eigenen Betriebes zu erlauben. Einig sind sich die niedersächsischen Regierungsvertreterinnen und -vertreter angesichts der durch die Corona-Krise noch einmal deutlich hervorgetretenen Missstände in größeren Schlachtunternehmen aber auch, dass man für eine Verbesserung der Arbeits- und Unterbringungsverhältnisse in der Branche nicht allein auf Antworten des Bundes warten könne, sondern eigene Vorschläge für den „Systemwechsel“ vorlegen will. Niedersachsen müsse dabei als eines der bedeutendsten Agrarländer Deutschlands die gesamte Wertschöpfungskette Fleisch – von der Tierhaltung bis zur Fleischverarbeitung – in den Blick nehmen. Ein erster Schritt ist beispielsweise eine entsprechende Anpassung der seit dem 6. Juli 2020 geltenden Fassung der Corona-Verordnung: Demnach sind die Betriebe der Fleischwirtschaft verpflichtet, die Kontaktdaten ihrer Werkvertragsbeschäftigten zu dokumentieren. Im Falle eines Infektionsgeschehens können so die Beschäftigten deutlich schneller erreicht und mögliche Ausbreitungen effektiver eingegrenzt werden.
Als positives Signal werteten die Ministerinnen und Minister das Angebot von Vertretern der Fleischwirtschaft, neben einem Verzicht auf Werkverträge zusätzlich durch einen zu verhandelnden allgemeinverbindlichen Tarifvertrag zu einer weiteren Verbesserung der Situation beitragen zu wollen. Grundlage dafür sei aber die Rückkehr der Gewerkschaft an den Verhandlungstisch.
Wirtschaftsminister Bernd Althusmann: „Es ist spürbar Bewegung in das Thema gekommen. Dass kürzlich gleich mehrere Unternehmen aus Fleischwirtschaft und Handel erklärten, zukünftig freiwillig auf die Verwendung von Werkverträgen bei Schlachtung, Zerlegung und Verpackung verzichten zu wollen, ist zu begrüßen. Die Botschaft ist in der Branche offenbar angekommen – ein „Weiter so“ in den Schlachthöfen kann es auch nach Corona nicht geben, das System muss grundlegend geändert werden. Dieser Umbau wird umso nachhaltiger, je konstruktiver die Fleischbranche selber daran mitwirkt und hilft, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen.“
Gesundheits- und Sozialministerin Carola Reimann: „Die Corona-Pandemie rückt auch die Situation der Menschen in dieser Branche, ihre Arbeits- und Lebenssituation in den Fokus der Gesellschaft. Nach den ersten Ausbrüchen habe ich bereits im Mai angeordnet, dass den niedersächsischen Schlachtbetrieben das Durchwechseln der Beschäftigten untersagt wird. Das wird weiterhin so bleiben, um Infektionsrisiken zu minimieren. Die Branche war auch in der Vergangenheit immer wieder in der Kritik. Wegen Verstößen gegen das Mindestlohngesetz und Missachtung des Arbeitsschutzes, wegen unzumutbarer Wohnbedingungen, Überbelegung und Wuchermieten. Deswegen begrüße ich es, dass dem Subunternehmertum und seinen werkvertraglichen Konstruktionen in der Fleischbranche jetzt ein Riegel vorgeschoben wird und es zu neuen verbesserten Regelungen kommen wird.“
Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast: „Niedersachsen ist das Tierhalterland Nummer eins in Deutschland. Deshalb sind gerade hier Schlachthöfe systemrelevant für die gesamte Lebensmittelkette. Die Menschen, die hier arbeiten, leisten einen wertvollen Beitrag für die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln. Sie verdienen dafür unseren Respekt und unsere Anerkennung. Dazu gehört auch, dass wir uns jetzt gemeinsam energisch für eine spürbare Verbesserung der Arbeits- und Wohnbedingungen der Mitarbeiter in der Fleischwirtschaft einsetzen.“
Bauminister Olaf Lies: „Mit dem neuen Wohnraumschutzgesetz wollen wir dem Wahnsinn der teilweise katastrophalen Unterbringungssituation einen Riegel vorschieben. Es kann nicht sein, dass Werkvertragsbeschäftigte immer noch menschenunwürdig hausen müssen – sehr oft mit viel zu vielen Menschen auf zu engem Raum und in Unterkünften, die nicht mal mehr den Titel ,ein Dach über dem Kopf‘ verdienen. Und das betrifft eben vor allem Beschäftigte in der Fleischindustrie. Darum müssen in dieser Branche die Werkverträge ganz abgeschafft werden, damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vernünftige Arbeitsverträge in der Tasche haben und damit auch eine reelle Chance auf dem Wohnungsmarkt.“
Ein weiteres Gespräch ist nach Vorliegen des von der Bundesregierung angekündigten Gesetzentwurfes – gerade mit Blick auf dessen Auswirkungen auf den Standort Niedersachsen – geplant.